Reden 2023

Hier kannst du alle Reden der LOS von 2023 nachlesen.

 

29. Juli 2023

Bern Pride 2023

Demorede an der Bern Pride von Tamara Funiciello (Nationalrätin und Vorstandsmitglied der LOS)

Liebe Familie, liebe Bitches, Butches, Dykes and Divas, liebe Lesben, liebe Fags und Tunten, liebe Gays und Bisexuals, liebe trans Geschwister liebe dominante Femmes und soft Mascs, liebe Tomboys, liebe Bears and Twinks, liebe Tops, liebe Bottoms, und liebe Switches, liebe Regenbogenfamilien, liebe Polyküle, liebe aromantische, asexuelle und inter Menschen, liebe solidarische Heteros, liebs Bärn! Es ist so schön, heute mit euch hier zu sein! Offen, stolz und divers.

Ganz speziell möchte ich die Queers unter uns begrüssen, die heute das erste Mal an einer Pride überhaupt sind, die das erste Mal diese wunderschöne Erfahrung machen dürfen! Schaut euch um, Baby Queers – das ist eure neue Familie. Sie ist vielfältig und farbig, sie ist biz verrückt und normal fassen wir eigentlich als Schimpfwort auf.

Hier findet ihr euer Zuhause, wenn ihr eins gesucht habt, eure Liebhaber*innen, eure Partner*innen, euer Freund*innen, die Menschen, die zum Glück euer Leben prägen werden. Und wenn euch das jetzt alles ein bisschen überfordert – dann ist das ok. Mich hat es anfangs auch überfordert.

Ich erinnere mich, als ich an meiner ersten queeren Party war. Ich tat nichts anderes als mich am Rand der Tanzfläche aufzuhalten und mit grossen Augen den eleganten Dragqueens zuzuschauen, wie sie durch die Menge flanierten, süsse Twinks beim Flirten beobachten und Butches anzuhimmeln.

Seither ist viel Wasser die Aare heruntergeflossen – und nun weiss ich auch, dass nicht alle Menschen, Frauen einfach schöner finden. Ich weiss heute, wer ich bin, ich weiss, wen und was ich will. Und ich stehe offen und stolz dazu. Dies vor allem dank euch, dank dieser wunderbaren Community, die wir gewählte Familie nennen, dank Vorbildern, dank Vorkämpfer*innen.

Doch die hetero und cis normative Gesellschaft, in der wir leben, hat es uns nicht einfach gemacht, diesen Weg zu gehen. Wenn ich gefragt werde, wie es war mich öffentlich zu outen – ich war damals JUSO Präsidentin – dann sage ich meist, dass ich mir überlegt habe, wie ich am besten allen klar mache, dass ich eine Lesbe bin. Und dass mir schien, eine Pushnachricht in allen Zeitungen dieses Landes sei die effizienteste Datingstrategie. So viel zum Thema: es interessiert doch niemanden, ob du queer bist oder nicht. Genau Roland.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte ist, dass ich Angst hatte. Ich hatte Angst mich zu outen. Ich hatte Angst vor der Stigmatisierung, ich hatte Angst vor Vorurteile à la: ah logisch, die kleine Feministin steht auf Frauen, erklärt viel. Als würde mich den Fakt, dass ich eine Frau liebe herabwerten. Ich hatte Angst an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Ich hatte Angst von der Reaktion meiner süditalienischen Verwandten, genauso wie von denen aus dem Seeland. Ich hatte Angst, von der Gewalt und vor der Sexualisierung. Und wenn wir die Kommentare, die Angriffe der letzten Tagen auf einen Event wie die Eurogames beobachten, dann ist diese Angst leider nicht unberechtigt.

Doch Angst, bringt uns nicht weiter. Um es in den Worten von Audre Lorde zu sagen:

«We are powerful, because we have survived».

Wir lassen uns nicht einschüchtern, wir lassen uns nicht wegdiskutieren, wir lassen uns nicht unsichtbar machen.

Liebe Baby Queers, liebe Anwesende – die Pride ist nicht ein Werbeevent für Firmen und nicht nur eine grosse Party. Die Pride ist die Zeit, in der wir uns an die Kämpfe erinnern, die unsere Vorkämpfer*innen geführt haben. Wir erinnern uns daran, dass wir wegen unserer Liebe gestorben sind, in den Konzentrationslager der Nazis, dass wir verrottet sind in Gefängnisse in New York und Zürich, dass wir fichiert, gejagt, gedemütigt und ausgegrenzt wurden. Und wir erinnern uns daran, dass wir all dem zum Trotz nicht aufgegeben haben – und nie aufgeben werden.

Es ist der Tag, an dem wir uns erinnern, dass unsere Geschichte, die Geschichte eines Freiheitskampfes ist, die Geschichte von Mut und von Widerstand. Wir erinnern uns, dass wir auf den Schultern von trans women of color stehen, wir erinnern uns daran, dass wir ihnen all unsere Freiheit zu verdanken haben. Denn sie haben die erste Pride veranstaltet. Wir erinnern uns daran, wie viel es noch zu tun gibt – und dass kein Recht je sicher ist, dass Geschichte nicht einfach linear ist und alles einfach besser wird, dass wir verteidigen müssen, was wir haben.

Wenn ich lesen muss, dass gewisse Menschen sagen, man soll die Pride nicht für politische Anliegen «missbrauchen», dann frage ich mich schon, ob diese Leute sich erinnern, wofür wir eigentlich hier stehen. Wir müssen uns bewusst sein, dass unsere Freiheit, unsere Sicherheit und unsere Rechte gerade weltweit in Frage gestellt werden – und zwar von Republikaner, von rechten Autokraten und neofaschistischen Parteien. In Uganda reicht der Versuch einer sexuellen Handlung mit einer gleichgeschlechtlichen Person für eine 10-jährige Freiheitstrafe. In den USA hat sich die Hetze gegen trans Personen, LGBT-Kinder und Reproduktionsreche neue Dimensionen erreicht. Und die hiersiegen Medien nennen es «Woke Debatte» statt Verfolgung. In Italien verlieren lesbische Mütter gerade das Recht auf ihre Kinder. Sie dürfen nicht mehr mit den Kindern, die sie grossgezogen haben zum Arzt, oder sie von der Schule abholen.

Sie nehmen uns gerade unsere Kinder weg. Giorgia Meloni nimmt uns unsere Kinder weg.

E questo e per lei, signora Meloni:
Sono una donna, amo un’altra donna, ma non per questo sono meno donna!

E si, anche noi siamo Madri!

Sia cosciente del fatto, che attacando le nostre sorelle e I loro bambini in Italia, ha attaccato tutte noi. Solidarität mit unseren Schwestern in Italien! Die Pride ist politisch. Die offiziellen Schweiz, muss dies klar und deutlich verurteilen. Wir müssen Position beziehen für eine Welt ohne Gewalt und Diskriminierung, wir müssen diesen Familien, diesen Menschen Zuflucht garantieren.

Queerfeindlichkeit muss endlich ein Asylgrund werden. Denn niemand von uns ist frei, solange wir nicht alle frei sind.

Niemand von uns ist sicher, solange wir nicht alle sicher sind. Darum stehen wir heute hier. Nicht nur für uns – sondern für all die, die heute nicht hier stehen können. Die sich verstecken und verstellen müssen. Die Angst haben müssen.

Und gleichzeitig wissen wir, dass auch in der Schweiz vieles nicht gut ist. Trotz Regenbogenfahnen und Werbeplakate mit Lesben drauf. Denn unsere trans Geschwister verlieren nach wir vor ihren Job, wenn sie ihr coming out haben, die Selbstmordrate von LGBTQAI+ Jugendliche ist 7-mal höher ist als die von cis hetero Jugendliche, Lesben sind hetero Paaren punkto Schutzes ihrer Kinder nach wie vor nicht gleichgestellt, nach wie vor müssen wir unsere Kinder adoptieren. Schwule Männer werden angefeindet und angegriffen – aus dem einfachen Grund, dass sie nicht die Männlichkeitsvorstellung der Gesellschaft erfüllen. Und nach wie vor leben wir in einer Gesellschaft, die es nicht schafft, mehr als 2 Geschlechter anzuerkennen.

Es geht darum, dass es nicht reicht, paar Fahnen im Juni rauszuhängen – wenn man gleichzeitig im Verwaltungsrat Politiker hat, die bereit sind Hormontherapien für trans Jugendliche in Frage zu stellen. Es geht um Macht, es geht um Ressourcen und es geht um Unterdrückung. Es geht darum, dass ich immer noch die einzige geoutete Frau im Schweizer Parlament bin und erst die zweite in der Geschichte. Und dass Transpersonen noch nie vertreten waren.

Die Pride ist politisch. Unsere Liebe und unsere Beziehungsformen sind politisch, weil sie die herrschende Norm in Frage stellen durch ihre schiere Existenz. Unsere Körper und Genderexpressions sind politisch, weil wir nicht bereit sind, uns den gängigen Vorstellungen zu unterwerfen. Unsere Geschlechtsidentitäten sind politisch – weil die meisten Menschen in dieser Gesellschaft nicht mal wissen, was das eigentlich ist. Die Pride ist politisch – und wir sind nicht einfach ein dummes Werbepublikum für kapitalistische Interessen. Queere Unterdrückung geht Hand in Hand mit Sexismus, Rassismus, Klassismus.  Unsere Befreiung geht dementsprechend Hand in Hand mit den feministischen und antirassistischen Befreiungsbewegungen.

Liebe Babyqueers, liebe Anwesende – wir sind heute hier, um uns zu feiern, um uns zu erinnern aber auch weil wir eine Aufgabe zu erfüllen haben. Wir haben die historische Aufgabe den Kampf weiterzuführen, den die Generationen vor uns begonnen haben, wir haben die Aufgabe Privilegien für alle zu erkämpfen, wir haben die Aufgabe die Welt zu einem sicheren Ort für alle zu machen. Wir müssen Vorbilder sein, für die, die kommen, sichere Hafen für die, die Schutz brauchen, und Vorreiter*innen einer besseren Zukunft. Hier, heute und jeden anderen Tag – lassen wir also die Angst hinter uns. Stolz hinzustehen, der Welt zu zeigen, wer wir sind, uns nicht zu verstecken, ist nicht nur die beste Entscheidung unseres Lebens – es ist eben auch eine Kampfansage an das System. We, we are the next Generation for queerfeminist Liberation. Wir werden stören, bis sie uns hören und uns die Freiheit und Sicherheit nehmen die uns, zusteht!

Venceremos. Dankeschön und Happy Pride!

1. Juli 2023

Queer joy für Basel

Demorede für Basel tickt Bunt von Alessandra Widmer (Co-Geschäftsleiterin der LOS)

Danke, dass ihr da seid. Meine Name ist Alessandra und ich bin Teil der Lesbenorganisation Schweiz und queere Baslerin. Es ist ein Teil meines Jobs, vor Leuten zu sprechen. Dazustehen, und zu sagen, was Sache ist. Mutig zu sein und meine Stimme zu erheben. Und das immer möglichst positiv und empowernd.

Beim Vorbereiten dieser Rede habe ich gemerkt, dass ich das gerade nicht kann.

Ich bin müde.

Ich bin wütend.

Und ich habe Angst.

Müde, wütend und ängstlich zu sein ist nicht mein Stellenprofil, aber meine Lebensrealität als Lesbe in Basel. Und es nicht nur meine Lebensrealität, sondern auch die von meinen queeren Freund*innen, Mitbewohner*innen, Beziehungsmenschen,  meinen Bürogspändlis und vielleicht auch einigen von euch hier.

Wir durften in den letzten Jahren einige politische Erfolge feiern – vor allem Lesben, Bisexuelle und Schwule. Heute vor einem Jahr wurde die Ehe für alle eingeführt. Was jetzt auf uns wartet, sind aber keine Lorbeeren, auf denen wir uns ausruhen können.

Was jetzt auf uns wartet, ist die SVP, die mit transfeindlichen Schlagworten Wahlkampf betreibt.

Was jetzt auf uns wartet, sind neue anstrengende Diskussionen beim Familienznacht.

Was jetzt auf uns wartet, sind schaulustige Medien, die zeigen wollen, wie gespalten unsere Community ist.

Was jetzt auf uns wartet, sind Nazis, die Vorlesestunden und Pride-Demos stören.

So ganz neu ist das alles natürlich nicht. Aber die Lage hat sich zugespitzt. Der Backlash ist jetzt. Die queere Community ist heute so sichtbar und so einflussreich wie noch nie. Aber das macht uns auch angreifbar.

An etwas glaube ich: Früher oder später werden wir uns durchsetzen. Wir werden gewinnen. Wir werden die Rechte, die frühere Generationen für uns erstritten haben, verteidigen können. Und wir werden uns die Rechte erstreiten, die wir noch brauchen.

Das Verbot von geschlechtsverändernden Eingriffen an intergeschlechtlichen Kindern.

Den dritten Geschlechtseintrag.

Die Unterstrafestellung von Konversionsmassnahmen

Die volle Absicherung von unseren Beziehungen und Familien.

… und – nicht zuletzt: das erweiterte Basler Gleichstellungsgesetz.

Liebe Queers, liebe Lesben, Bisexuelle, Schwule, liebe trans Menschen, liebe nicht-binäre Menschen, liebe intergeschlechtliche Menschen, liebe asexuelle und aromantische Menschen: Das alles wird ein harter Kampf. Wir werden uns gegenseitig stützen müssen. Wir werden zusammen halten müssen, wie noch nie.

Und: Wir werden starke Allianzen brauchen – nicht nur innerhalb der Community.

Und darum Liebe Verbündete, die heute hier sind: danke, dass ihr es seid, denn wir brauchen euch jetzt dringend. Steht für uns ein. Und zwar für alle von uns: nicht nur für die, die eine Traumhochzeit veranstalten, sondern auch für die, deren Queerness ihr nicht auf Anhieb versteht.

Zäme hebe, einstehen füreinander, dass müssen wir jetzt alle:

Cis Personen für trans Personen.

Endogeschlechtliche für Intergeschlechtliche Menschen.

Heteros für Homos und Bis.

Die ohne Kinder für Regenbogenfamilien.

Nicht-Queers für Queers.

Und übrigens auch:

Die mit Schweizer Pass für die ohne.

Die, die keinen Rassismus erfahren für die, die das tagtäglich tun.

Die, die vom Patriarchat profitieren für die, die davon betroffen sind.

Die ohne Behinderungen und chronische Krankheiten für die mit.

Die mit den hohen Löhnen, für die mit den tiefen.

Wir werden zusammen müde, wütend und ängstlich sein, um zusammen glücklich und frei zu werden.

Unser aller Einsatz ist begleitet von all diesen Gefühlen. Und sie alle sind legitim und sie alle brauchen Platz. Gerade jetzt auch diese Angst, diese  Enttäuschung, und diese Wut. Aber auch das Glück und die Hoffnung sollen Raum bekommen.

Denn: Die queere Community hat schon immer nicht nur das eigene Unglück und die Missstände zum Politikum gemacht. Sondern auch das eigene Glück.

Ich habe diese Rede mit meiner Angst und mit meiner Wut begonnen. Ich möchte sie mit euren Glücksgefühlen, mit eurer “queer joy” beenden. Denn unser Glück, für das wir kämpfen, ist Teil unseres Widerstands. Queer joy ist unser Motor, unsere Überlebensstrategie.

Darum habe ich viele queere Menschen in Basel gefragt, was queer joy, queeres Glück für sie bedeutet. Und ich möchte euch ihre Antworten vorlesen.

  • Queer joy bedeutet für mich, mich für das erste Mal im Spiegel zu erkennen und zu wissen, dass andere Menschen mich endlich so sehen wie ich mich immer gesehen habe.
  • Queer joy bedeutet für mich, Filme zu schauen, in denen queere Lebensrealitäten gezeigt und zelebriert werden.
  • Queeres Glück ist für mich, wenn queere Menschen in safen Räumen aufblühen.
  • Queer joy bedeutet für mich, Hand in Hand mit meinen Friends durch die Stadt zu laufen.
  • Queer joy bedeutet für mich, sagen zu können, dass ich queer bin und mich dabei stolz zu fühlen.
  • Queeres Glück ist für mich, gemeinsam an der Pride mit meinem Bruder im Arm zu einem Katy Perry Song zu weinen.
  • Queer joy bedeuted für mich, ohne Dysphorie vor anderen Queers oben ohne zu chillen.
  • Queeres Glück bedeutet für mich, zu sehen, dass ich nicht alleine bin und den Support einer wunderschönen Community habe.
  • Queer joy bedeutet für mich, weinend in den Armen von anderen Queers zu liegen, wenn alles zu viel ist.
  • Queer joy bedeutet für mich, am Dienstag in die Zischbar zu laufen und so viele Mensch lachen zu sehen.

Wenn wir heute alle zusammen zu dieser Demo aufbrechen, dann kämpfen wir nicht nur gegen den Backlash und die Welt und ihre Normen. Wir kämpfen auch für unser Glück.

Wir werden so lange weitermachen, bis alle Queers diese Glücksmomente fühlen dürfen.

Und wir werden so lange weitermachen, bis es nicht mehr nur Momente sind.

17. Juni 2023

Gemeinsam sind wir stark

Rede an der Zurich Pride von Salome Trafelet (Co-Geschäftsleiterin) und Anna-Béatrice Schmaltz (Vorstandsmitglied)

Schön seid ihr da! Wir freuen uns, hier zu sein! Wir, das sind Anna-Béatrice Schmaltz und Salome Trafelet von der Lesbenorganisation Schweiz. Bei der LOS kämpfen wir für die Rechte von Lesben, Bisexuellen und queeren Frauen in der Schweiz – und wir tun das stolz, sichtbar und feministisch!

Was für ein tolles Gefühl, mit mehreren 10’000 Queers durch Zürich zu ziehen, oder? Seid ihr auch berauscht von diesem Tag voller Glitzer und Gänsehaut?

Heute sind wir sichtbar, heute sind wir Viele, heute ist die ganze, vielfältige Community beisammen. Wir baden im Gefühl des Zusammenhalts und der Community. Was wir heute erleben und was mich heute auf der Demonstration durch Zürich so glücklich gemacht hat, sind Queere Freude und Solidarität.

Und genau darüber sprechen wir heute: Solidarität. Wieso? Warum ist Solidarität etwas Wichtiges? Solidarität bedeutet für mich, Seite an Seite mit anderen Menschen, mit anderen Gruppen zusammenzustehen und füreinander einzustehen.

Kennt ihr den Slogan: “A day without lesbians is like a day without sunshine?” Ein Tag ohne Lesben ist wie ein Tag ohne Sonnenschein. Ich finde ihn grossartig. Kennt ihr auch die Geschichte dahinter? In den 70er gab es in den USA eine berühmte Marketing-Kampagne: Breakfast without orange juice is like a day without sunshine. Das Problem: Das Aushängeschild der Kampagne, Anita Bryant – bekämpfte in Florida die LGBT-Bewegung, die für ihre Rechte einstand. Daraufhin hat sich die Community gewehrt und solidarisch gezeigt: Während Jahren wurden in gay bars in den USA keine Drinks mit Orangensaft mehr angeboten. Und mit viel Kreativität haben Queers den Marketing-Slogan einer homophoben Person in einen wundervollen Slogan zu Ehren von Lesben umgewandelt: A day without lesbians is like a day without sunshine.

Und genau solche Solidarität brauchen wir aktuell. Und genau das haben wir heute erlebt: Lesben, Bisexuelle, Pansexuelle, Schwule, Asexuelle, cis und trans Menschen, non-binäre Personen und intergeschlechtliche Menschen – Wir alle sind heute Seite an Seite durch Zürich gezogen und haben ein starkes Zeichen gesetzt: Wir sind Viele, wir sind vielfältig und wir fordern das Recht, so zu sein wie wir sind, ohne Diskriminierung, ohne Hürden, ohne Hass und Gewalt. Dieser Moment der Solidarität und der Queeren Freude ist eine wahnsinnig wichtige Erfahrung, eine willkommene Pause nach Monaten mit anstrengenden bis abwertenden Diskussionen in den Medien über gendergerechte Sprache, den dritten Geschlechtseintrag oder die Drag Story Time.

Ihr habt das sicher mitbekommen. Im Vorfeld der Drag Story Time in Zürich haben rechte und rechtsextreme Kreise gegen die Veranstaltung gehetzt und Hass verbreitet. Die Reaktion war grosse Solidarität und Unterstützung für die Veranstaltung. Über 450 Personen waren am Tag der Veranstaltung vor Ort und haben bunt und friedlich ihre Solidarität ausgedrückt. Dank dieser Unterstützung konnte die Drag Story Time stattfinden und 100 Kinder durften dem bunten und wichtigen Spiel mit Geschlechterrollen zusehen.

Wir wollen deshalb heute über Solidarität sprechen.

Solidarität in der Community bedeutet viele Dinge:

  • Wir halten genauso zum 50-jährigen Schwulen, der an seinem Arbeitsplatz nicht geoutet ist, wie wir zur aktivistischen Person mit 100 bunten Pins am Rucksack halten
  • Queers und Allies mit und ohne Kinder schützen die Drag Story Time
  • Singles setzen sich für die Rechte von Regenbogenfamilien ein und gemeinsam kämpfen wir für die Anerkennung von vielfältigen Beziehungs- und Familienformen
  • Mehrere tausend Menschen aus der Community haben sich mit der LOS solidarisch gezeigt, als wir letztes Jahr zuerst keinen Wagen an der Pride erhielten
  • Es ist wichtig, dass wir cis Menschen auch Forderungen mittragen, wenn sie uns nicht direkt betreffen. Wie beispielsweise ein dritter Geschlechtseintrag oder die Erweiterung der Antidiskriminierungsstrafnorm um Geschlechtsidentität.
  • Wir müssen zusammenstehen und Queerfeindlichkeit mit Gegenrede begegnen. Auch das ist Teil von Solidarität, dass wir Feindlichkeiten nicht einfach stehen lassen – sondern entgegen und dagegen halten.
  • Solidarität bedeutet, dass wir uns auch für geflüchtete queere Menschen und armutsbetroffene queere Menschen einsetzen
  • Solidarität heisst, zuzuhören und dazu zu lernen, wenn wir kritisiert werden

Als LOS sind wir überzeugt, dass wir nicht nur die Solidarität innerhalb der LGBTQIA-Community brauchen, sondern uns auch über Communities und über Bewegungen hinweg verbünden und solidarisch zeigen müssen. Es ist wichtig, dass wir verschiedene Kämpfe verbinden. Die Kraft von Gemeinschaft und Solidarität haben diese Woche auch die 300’000 FLINTAS – Frauen, Lesben, inter, non-binäre Personen und trans Menschen – gezeigt, die am Mittwoch in der ganzen Schweiz am feministischen Streik teilgenommen haben und gemeinsam für eine feministische und solidarische Zukunft auf die Strasse gingen. In der Streikbewegung haben diverse Forderungen für eine gleichgestellte und diskriminierungsfreie Gesellschaft Platz. Queer-feministische Solidarität macht uns stark:

  • Lesben setzen sich für das Recht auf Abtreibung ein, auch wenn es viele nicht selbst betrifft
  • Feministinnen setzen sich für das Recht von Queers auf Asyl ein

Um nur zwei Beispiele zu nennen.

Zum Schluss möchte ich noch etwas über mein T-shirt erzählen, denn es ist der Beweis von gelebter Solidarität. In den 80er Jahren haben in England die Kohlenmineure gestreikt. Da ein langer Streik irgendwann die Ersparnisse wegfrisst, hat sich in London eine Gruppe von Lesben und Schwulen zu LGSM zusammengeschlossen – Lesbians and Gays Support the Miners – Lesben und Schwule unterstützen die Mineure. Sie haben Geld gesammelt für die Mineure. Mein T-Shirt stammt übrigens von einem Benefiz ball, den LGSM in London veranstaltet hat. Während dieses Jaher – so lange hat der Streik gedauert – waren LGSM und die Mineursfamilien aus Wales, die sie unterstützt haben, immer wieder in Kontakt und haben sich gemeinsam besucht. Sie haben Freundschaften geknüpft und vieles über ihre Lebensrealitäten gelernt und dabei nicht nur die Unterschiede gesehen – hier die Kohlenmine in Wales, hier die Gaybars in London – sondern sie haben auch festgestellt, dass sie etwas sehr, sehr Wichtiges verbindet: Beide Gruppen kämpften dafür, ein würdevolles Leben zu führen und respektiert zu werden. Und obwohl Solidarität bedeutet, dass man eine Gruppe aus Überzeugung unterstützt und nicht eine direkte Gegenleistung erwartet: Die Kohlenmineure und ihre Familien haben die Solidarität zurückgegeben. Im Jahr darauf hat sich ihre Gewerkschaft dafür eingesetzt, dass sich die Linke Partei offiziell für die Rechte von LGBT-Personen einsetzt. Lesben und Schwule hatten schon lange daraufhin gearbeitet, aber die Solidarität der Mineure hat es möglich gemacht, einen wichtigen Schritt weiterzukommen. Und dies in einer Zeit, als Margaret Thatcher queer-feindliche Gesetze einführte und gegen Queers hetzte. Allen, die mehr über diese Geschichte erfahren möchten, empfehle ich den Film “Pride” von 2014.

Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig Solidarität ist, gerade in schwierigen Zeiten. Solidarität kann die Dinge zum Besseren bewegen, auch wenn in den Medien und in den Kommentarspalten gehetzt wird, auch wenn Hass für Wahlkampf gezielt verbreitet wird. Solidarität gibt Hoffnung. Seien wir solidarisch innerhalb der Community.

Lasst uns solidarisch sein mit anderen Kämpfen: anti-rassistischen, für die Rechte und Mitsprache von Migrant*innen und geflüchteten Menschen, für die Teilhabe und Rechte von Menschen mit Behinderung.

Und an die Allys unter uns: Seid solidarisch mit uns LGBTIQ-Personen.

Gemeinsam sind wir stark.

14. Juni 2023

Nach den Sternen greifen!

Rede für den feministischen Streik 2023 in Aarau von Alessandra Widmer (Co-Geschäftsleiterin der LOS)

Mein Name ist Alessandra und ich bin Co-Geschäftsleiterin der Lesbenorganisation Schweiz, kurz LOS. Bei der LOS kämpfen wir für die Rechte von Lesben, Bisexuellen und queeren Frauen in der Schweiz – und wir tun das stolz, sichtbar und feministisch! Am 14. Juni, im Pride-Monat und an jeden anderen Tag im Jahr.

Kurze Content Note: Ich spreche in dieser Rede Gewalt und Queerfeindlichkeit an, weil ich es wichtig finde, diese Themen aktuell zu benennen, aber ich möchte uns alle zum Schluss dazu ermuntern, nach den Sternen zu greifen. Es hört also positiv auf.

Ich bin selber im Aargau aufgewachsen: Ich habe hier vieles gelernt: Zum Beispiel Rheinschwimmen und Rüeblitorte backen. Aber vieles habe ich auch nicht hier gelernt: Zum Beispiel, dass ich eigentlich gar nicht auf Männer stehe. Und wie Feminismus geht. Ihr zeigt mir aber heute, dass auch der Aargau feministisch und queer ist – und das gibt gerade mir so viel Mut und Zuversicht! Denn uns Feminist*innen gibt es schon lange und wir sind ÜBERALL laut und wir kämpfen ÜBERALL für unsere Anliegen.

Ich möchte uns alle hier einmal kurz feiern: können wir einmal Lärm machen * für alle Feminist*innen im Aargau von Aarau bis Zurzach!* Und für alle Menschen, die heute in der Schweiz streiken.

Zurück zu mir und dieser Rede: Als Lesbe erfahre ich nicht nur Sexismus, sondern auch Queerfeindlichkeit: Männer machen mich nicht nur dumm an, weil sie mit mir ins Bett wollen, sondern weil sie gerne auch noch mir und meiner Freundin gern dabei zuschauen würden, was wir im Bett machen. Wenn ich für die LOS in den Medien stehe, werde ich nicht nur als dicke Feministin beschimpft, sondern auch als hässliche Kampflesbe, die halt einfach keinen Mann abkriegt.

Feminismus und LGBT-Anliegen, queere Anliegen, sind für mich nicht trennbar: in meiner Existenz, aber auch in unserem Aktivismus. Und darum bin ich Queerfeministin. Denn das Patriarchat unterdrückt nicht mich als cis Frau systematisch, sondern auch viele andere Menschen: zum Beispiel nicht-binäre Menschen, ganz besonders trans Frauen, aber auch alle die lesbisch, bisexuell, pan, queer oder schwul sind. Denn wir alle kratzen in irgendeiner Form an den Geschlechternormen. Wir lieben frei, leben unser Geschlecht so wie wir wollen, unsere Freund*innen sind unsere Familien, und eigene Kinder haben wir auch noch. Wir kämpfen gegen diese patriarchale Welt mit ihren unterdrückerischen Normen an. Denn es sind auch genau diese Normen, die dafür sorgen, dass alle Frauen – auch heute noch – weniger verdienen, nicht gehört werden, Gewalt erfahren und klein gehalten werden.

Genau darum haben die queere und die feministische Bewegung haben schon immer zusammen gehört und zusammen gehalten. Und gerade jetzt, müssen wir das unbedingt weiterhin tun.

Denn ich muss euch ganz ehrlich sagen, die Welt, in der wir heute leben, macht mir Angst:

  • Es ist Pride-Monat, unser Sicherheitskonzept für die Demos ist mittlerweile seitenlang.
  • In Zürich müssen wir Nazis davon abhalten, Lesungen für Kinder zu stören.
  • Im letzten Jahr wurden der LGBTIQ-Helpline fast dreimal pro Woche queerfeindliche Angriffe gemeldet. Ein Drittel davon an trans Personen. Und seit der Juni begonnen hat, bekommen wir fast täglich eine Meldung rein.

Und gleichzeitig hat eine der grössten Schweizer Parteien, die SVP, angekündigt, dem vermeintlichen  “Gender-Terror” und “Woke-Wahnsinn” den Kampf anzusagen. Anscheinend können Konversative in diesem Land nicht mehr frei sprechen und das stört sie. Währenddessen kämpfen wir in diesem Land noch dafür, dass wir frei abtreiben dürfen, dass nicht-binäre Menschen existieren und dass wir alle frei von Gewalt leben können

Die Rechte sucht sich in ihrem Kampf ein absurdes Ziel nach dem anderen aus – und über eins möchte ich hier noch kurz sprechen: Das Gender-Sternchen! Denn davon habt ihr ja im Aargau letztes Jahr mehr als genug mitbekommen: der Kanton hat nach ewigem Gemecker von rechts die Verwendung des Gendersterns an den Schulen verboten. Und die Junge SVP sammelt auf einer Website Gendersterne, um dann dagegen vorzugehen.

In dieser Diskussion geht es nicht um Sprache und wie wir sie inklusiver machen können. Diese Diskussion um ein Zeichen, ist ein Angriff auf Menschen und gesellschaftlichen Fortschritt. Und dieser Backlash, diese Angst und dieser Hass, die hier geschürt werden, gehen uns alle etwas an: als Frauen, als Queers, als Gesellschaft. Denn wenn die Rechte dem Gender-Terror den Kampf ansagt, dann meint sie nicht nur den Kampf um Anerkennung und Rechte der LGBT-Community, sie meint auch die Gleichstellungspolitik für Frauen. Gemäss der SVP stehen “Mädchen und Frauen stehen heute alle Möglichkeiten offen. Von einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts kann keine Rede mehr sein.” Müssten wir hier heute alle stehen, wenn das so wäre? Ich denke nicht.

Aber wir sind hier, und wir streiken. Weil das noch immer nötig ist. Wir brauchen eine starke, laute, fordernde feministische Bewegung. Wo wir zusammenarbeiten, egal ob queer oder nicht. Wo wir zusammenhalten, egal wie sehr versucht wird uns zu spalten mit solchen Aktionen.

Wir brauchen einen Feminismus der nach den Sternen greift: nach den Gendersternen, aber auch nach vielen anderen:

Greifen wir zusammen nach den Vereinbarkeitssternen, nach den Antirassismus-Sternen, nach den Altervorsorge-Sternen,  nach den Barrierefreiheits-Sternen, nach den Stimmrecht-für-alle-Sternen, nach den 34-Stundenwoche-Sternen, nach den Rechte-für-Sexarbeiter*innen-Sternen, nach den Gratis-Kinderbetreuung-Sternen, nach den Nulltoleranz-für-sexualisierte Gewalt-Sternen. Und nach vielen weiteren!

Das sind ganz schön viele Sterne in verschiedenen Universen, aber wir, wir sind auch viele. Unser Feminismus, der nach den Sternen greift, anerkennt, dass wir nicht alle gleich sind, dass wir unterschiedliche, spezifische Diskriminierungen erfahren. Und dass wir nebeneinander und miteinander und füreinander kämpfen können, Für ein besseres Leben für uns alle: Dass wir alle gleichgestellt, gesund, abgesichert, stark, glücklich und frei sein dürfen.

Schliessen
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